Regen dich deine Mitmenschen manchmal auf? Gibt es jemanden in deinem Leben, der es regelmäßig schafft, dich auf die Palme zu bringen? Sind es bestimmte Eigenschaften bei anderen, die dich wieder und wieder rasend machen? Oder gibt es immer wieder Situationen in deinem Leben, in denen du am liebsten aus der Haut fährst? Was ich dir nun sage, wird dir vermutlich nicht gefallen. Es liegt oft gar nicht an deinem Gegenüber, wenn du an die Decke gehst. Es hat viel mehr mit dir selbst zu tun, als du denkst. Autsch! Natürlich fällt es uns viel leichter, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben, wenn es uns nicht gut geht. Wir kommen selten auf die Idee, uns selbst zu fragen, was das Ganze mit uns zu tun hat. Unseren Anteil an nicht gut funktionierenden Beziehungen und anstrengenden Situationen zu reflektieren. Stattdessen projizieren wir.
Was hat das mit mir zu tun?
Projizieren, um uns selbst zu helfen
Wenn wir projizieren, hängen wir anderen Menschen Eigenschaften, Schwächen oder Probleme an, die wir selbst in uns tragen. Mal ganz offensichtlich, mal ganz verborgen unter unserer Oberfläche. Wenn wir jemanden also als chaotisch und unordentlich wahrnehme, gibt es diesen Anteil auch in uns. Und wenn wir uns selbst gegenüber ehrlich sind, so finden sich dafür sicher ein paar Beispiele. Weil wir selbst jedoch nicht nur einmal erfahren habe, dass Unordnung und Chaos "nicht richtig" sind, lehnen wir dann diesen Anteil in uns ab - und damit auch bei anderen. Und so bringt es unser Blut in Wallung, sobald eine andere Person immer wieder diese Eigenschaften an den Tag legt.
Oder ist es dir schon einmal passiert, dass dir Menschen begegnet sind, die immer eine Meinung haben und in jedem Gespräch auch vertreten, immer laut und nie leise? Vielleicht empfindest du diese Menschen als unsympathisch, weil sie sich in deinen Augen immer wieder in den Vordergrund drängen. Und weil du es ablehnst, wenn jemand Selbstbewusstsein zeigt. Vielleicht erlaubst du dir dies selbst nicht? Beide Beispiele sind dabei noch vergleichsweise leichte Kost. Wir meckern über Egoismus, Faulheit, Ungeduld, Bequemlichkeit, Perfektionismus, Unpünktlichkeit. Doch nochmal: Was hat das jeweils mit uns selbst zu tun?
Projektion als Kampf gegen die Realität
Was wir nicht wahrhaben wollen, können wir auch nicht verändern
Wenn wir neue Menschen kennen lernen, ist es ratsam, ihnen mit Neugier und Offenheit zu begegnen. Unbewusst sehen wir in diesen Menschen etwas, was uns gefällt und damit positive Gefühle nach sich zieht - oder wir sehen etwas, dass wir bemängeln, schlicht doof finden. Klar, dass das ganz andere Gefühle als Freude, Neugier und Interesse hervorruft. Gerade in diesen Momenten dürfen wir uns fragen, welche Gedanken diese Gefühle ausgelöst haben. Tatsächlich können hier Themen ans Licht kommen, die mit Ärger, Enttäuschung, Neid oder Frust zu tun haben. Vielleicht tickt der andere einfach anders? Hier hinzuschauen, kann sich doppelt lohnen, denn wir lernen uns selbst dabei wieder ein bisschen besser kennen und können die Situation oder auch Beziehung zum anderen mitgestalten. Hierfür braucht es hin und wieder Mut. Doch ist es nicht oft schon so gewesen, dass sich unser Mut ausgezahlt hat?
Was wir nicht wollen, verschwindet nicht
Mutig und ehrlich hinschauen lässt dich wachsen
Wenn wir projizieren, blocken wir also unsere eigenen, ungeliebten Gefühle, Wünsche, Ängste und Themen ab. Wir schließen sie aus unserem Leben aus. Sperren sie weg und wählen stattdessen Lästern, Meckern, Schimpfen. Davon verschwinden sie jedoch nicht. Wenn wir nicht hinschauen, was dahinter steckt, kommt das alles irgendwann wieder. In einem anderen Menschen. In einer anderen Situation. Wir kämpfen bis dahin dagegen an und sehen unser Gegenüber in aller Negativität. Wir halten das, was wir sehen, für nichts als die Wahrheit. Und dann? Dann machen wir unsere Mitmenschen zu etwas, was sie überhaupt nicht sind. So laufen wir Gefahr, unsere Beziehungen zu belasten, vielleicht sogar zu sabotieren. Ein Jackpot in der Kategorie Energieräuber.
Mit diesen Fragen gelingt dir das Hinschauen, wenn du bemerkst, dass du projizierst:
- Was hat das mit mir zu tun?
- Laste ich der anderen Person gerade etwas an, was selbst in mir ist und das ich vielleicht sogar lebe?
- Werfe ich meinem Gegenüber etwas vor, was ich mir selbst nicht erlaube?
- Kreide ich dem anderen etwas an, was dieser kann und ich nicht?
- Beklage ich mich über etwas, was der andere besitzt, ich jedoch nicht?
Idealerweise schaffen wir es, objektiv und gütig mit uns und unserem Umfeld zu sein. Und das bedeutet eben auch, dass wir uns an die eigene Nase fassen. Klar, das setzt Mut und Ehrlichkeit voraus. Es lohnt sich jedoch immer, wenn wir uns selbst noch besser kennen lernen. Dazu gehört auch, alle Anteile, die wir in uns tragen, willkommen zu heißen. Egal, wie wir sie bewerten. Für noch mehr Gelassenheit und ein friedliches Miteinander - auch im Umgang mit uns selbst. So bahnt sich ein neuer Weg emotionaler Freiheit.
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